Österreich verdankt diesem Film zwei geflügelte Worte über das Ausüben informeller Macht: ¿Seinen Hund streicheln¿ und ¿einen Gugelhupf essen gehen¿. Denn die belgische Regisseurin Natalie Borgers dokumentiert, wie Hans Dichand, mächtige Chefredakteur von Österreichs auflagenstärkstem Blatt "Kronen Zeitung", weit von sich weist, er übe Macht aus. Aber gleichzeitig genießt er sichtlich, dass er als eine Art König der Meinungsmacher seiner Zeit über sehr weitreichenden politischen Einfluss verfügt.
Voller Stolz berichtet Dichand der Regisseurin, er werde regelmäßig vom österreichischen Präsidenten zum Gugelhupf essen eingeladen. Mal ganz privat, mal in der Wiener Hofburg. Der Präsident sei stets sehr interessiert den den politischen Ansichten der "Krone" und ihres Partriarchen. Das anschließend dokumentierte traute tête-à-tête zwischen Dichand und dem damaligen österreichischen Präsidenten Thomas Klestil bei Gugelhupf und Kaffee wurde in Österreich weithin als Kniefall Klestils vor dem Kronenzeitungs-Zar gedeutet.
Die "Krone" pflegte unter Dichands stets einen ausgeprägten Hang zum orchestrierten Kampagnenjournalismus. Dennoch behauptete der Zeitungs-Patriarch unverdrossen: "Bevor ich Macht ausübe, streichle ich lieber meinen Hund."
Überhaupt nehmen Tiere im Themenmix der "Krone" eine besondere Rolle ein. Während Innen-, Lokal- und Außenpolitik im Jahr 2001 hier bis hinunter zum jüngsten Mitarbeiter ausschließlich Männersache ist, sorgt eine junge Journalistin im Tier-Ressort für Leser-Blatt-Bindung. Ebenfalls weiblich besetzt ist das Horoskop. Dessen Autorin ist für die Leserschaft auch als Kummerkasten ansprechbar; sie können bei ihr anrufen und erhalten telefonische Ratschläge.
Die "Krone" unter Hans Dichand machte regelmäßig Stimmung gegen Migrant*innen. Was "dem Alten" in Doppelfunktion als Herausgeber und Chefredakteur keinerlei Gewissensbisse bereitete. "Das Einzige, was mein Gewissen belastet, ist das Horoskop," gibt er zu Protokoll. Denn er glaube nicht an Horoskope. Weil die aber nun einmal so beliebt sind, werden sie trotzdem gedruckt.
Gänzlich unbelastend hingegen sind Dichand die "Frauen von nebenan", die als täglicher Nackedei in der Zeitung erscheinen. Was mit Import-Porträts aus der anglophonen Welt begann, ist im Jahr 2001 streng heimatverbunden: Die Aktfotos zeigen nach Angaben des Chefs nun ausschließlich Einheimische, und zwar die Art Österreicherin, die "heute schon so frei sich bewegt, dass ihr das nichts ausmacht, wenn sie so fotografiert wird."
Die Mischung der Themen unter Dichand senior bestand aus populistischen Klassikern: Immigrantionskritik, Heimatliebe, Tierschutz, Elitenbashing und jede Menge Kümmerer-Elemente. Stil und Inhalt der Zeitung spielen mit menschlichen Urinstinkten wie der Angst vor dem Anderen, dem Gegensatz zwischen Gut und Böse und dem Gefühl der Ohnmacht einfacher Menschen in der politischen Arena. Mit Vereinfachung und Liebedienerei gegenüber der Leseschaft bündelte die "Krone" von Dichand senior die Macht seines Publikums, um Politik zu beeinflussen.
Dieses Konzept war auch wirtschaftlich überaus erfolgreich. Unter der Ägide von Hans Dichand wurde die Krone zur meistgelesenen Zeitung der Welt - gemessen an der Anzahl ihrer Leser*innen im Verhältnis zur Einwohnerzahl Österreichs. Mit fast 3 Millionen Lesern hatte das Blatt zum Zeitpunkt der Dreharbeiten einen Anteil von fast der Hälfte (43%) des österreichischen Pressemarktes. Österreich hatte damals rund 8 Millionen Einwohner.
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Seit 2003 führt Christoph Dichand (Jg 1965), jüngster Sohn von Senior Hans Dichand, die Krone als Herausgeber und Chefredakteur. Die Krise der gedruckten Zeitungen ist auch an der "Krone" nicht spurlos vorbeigegangen. Im Jahr 2021 war der Marktanteil gegenüber 2001 mit knapp über 23% nur noch halb so hoch. Die Zahl der Leser*innen schrumpfte in diesem Zeitraum um rund 1 Million auf nur noch 1,7 Millionen, bei einer Bevölkerungszahl von 9 Millionen.
Außerhalb von Österreich wurde die "Krone" in jüngerer Zeit im Zuge der "Ibiza-Affaire" bekannt. Der FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache entwickelte vor versteckter Kamera vor einer vorgeblich wohlhabenden russischen Frau den Plan, ihm genehme Journalisten in der "Krone" zu platzieren und die Zeitung auch wirtschaftlich zu übernehmen. Das heimlich gefilmte Video dieser Übernahme-Fantasien wurde im Mai 2019 veröffentlicht.
Verfasserangabe:
Protagonist: Jörg Haider, Erhard Busek, Heide Schmidt, Thomas Klestil, Andreas Mölzer, Hans Dichand; Montage: Stéphanie Perrin, Monika Willi; Musik: Edouard Papazian; Regie: Nathalie Borgers; Sound Design: Joe Knauer; Stimme: Aylin Yay; Drehbuch: Lena Deinhardstein; Kamera: Jerzy Palacz; Produktion: Johannes Rosenberger
Jahr:
2022
Verlag:
Potsdam, filmwerte GmbH
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Beschreibung:
1 Online-Ressource (57 min), Bild: 4:3 SD
Schlagwörter:
Film
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Sprache:
Französisch, Deutsch
Mediengruppe:
Filmfriend